.. zum Knast
Ich bin jetzt sehr diplomatisch. Schließlich will ich niemand auf die Füße treten.
Wozu ist der Knast gut? Um unliebsame Personen zu entfernen, ok. Aber was danach? Ein Teil dieser Leute macht nach der Entlassung einfach weiter, ein anderer Teil wünscht sich nur ein „normales“ Leben mit Arbeit, Wohnung und Familie, weiß aber nicht wie. Was passiert dann im Knast? Sie werden weggeschlossen, bekommen niemand zum Reden (außer die Mitgefangenen, die nur davon reden, wie man Automaten und Autos knackt). Dann werden sie entlassen, ohne Wohnung und ohne Arbeit. (Sollte nicht so sein. Ist aber meistens so.) DIe „Brücke“ (das Überbrückungsgeld, das sie von ihrem Arbeitslohn (unter 2 Euro die Stunde) ansparen mussten) nimmt ihnen das Jobcenter gleich weg. (Achtung Trick: Erst Mietkaution und den Gerichtsvollzieher bezahlen, dann am nächsten Monatsersten Hilfe zum Lebensunterhalt beantragen!) Was tut also so ein Schmuddelkind? Richtig, Automaten und Autos knacken.
Diese Vorrichtung kostet uns so viel wie ein Luxushotel. Dazu kommt noch der volkswirtschaftliche Schaden: Das Auto ist weg, der Knacker zahlt keine Steuern, au ja, mehr Polizei muss her, und wegsperren, Rache.
Vieles davon wäre überflüssig, wenn im Knast mehr und besser geschultes Personal arbeiten würde. Durchschnittlich gibt’s etwa eine Psychologen- und eine Sozialarbeiterstelle pro hundert Gefangene. Und die PsychologInnen bearbeiten meistens nur Akten. Externe Therapeuten auf Honorarbasis? In Cottbus z.B. sechs Wochenstunden für sechshundert Gefangene.
Nett wäre auch, wenn die Gefangenen sich äußern dürften. Das hieße, die Bediensteten müssten zuhören (können) statt nur wegschließen. Und Beschwerden und Anträge müssten bearbeitet und ernst genommen werden.
Auch nett: Angemessene Arbeit oder Ausbildung. Jugendliche kriegen Schule oder Lehre, das ist fein. (Aber immer nur Maler oder Tischler. Neuerdings auch Computer, aber ohne Internet.) Erwachsene, die ein bisschen was in der Birne haben, dürfen Boden fegen oder Stecker zusammenschrauben. Wenn sie raus kommen, haben sie was fürs Leben gelernt.
Gutachten und Beurteilungen: Stellen Sie sich vor, Sie müssten die Gefährlichkeit eines Gefangenen beurteilen. Wenn Sie sagen, der ist ok, und er wird entlassen und knackt gleich das nächste Auto – dann sind Sie ein schlechter Gutachter und werden nicht wieder beauftragt. Schreiben Sie dagegen, das sei ein Spitzbube, dann bleibt er drin und knackt kein Auto. Das gibt ein Honorar von fünftausend, und Sie sind ein guter Gutachter. Also was würden Sie über Ede Müller schreiben?
Wie nennt man das, wenn man jemanden allein einsperrt, ihn nur für die Arbeit aus seiner Hütte lässt, ihm nicht zu hört und jede seiner Äußerungen als Lüge, Querulantentum oder kriminell abtut? Können Sie sich vorstellen, so behandelt zu werden? Und können Sie sich vorstellen, davon gesund zu werden?
Mein Freund Jens hat noch Folgendes ergänzt: Wie kommt es eigentlich dazu, dass die Gebrandmarkten sich so kriminell verhalten, wie die Mainstream-Gesellschaft es erwartet? Es muss doch ein fertiges Verhaltensmuster und eine Prämie dafür geben. Schafft sich der brave Bürger ein Ventil für seine Angst, eine Projektionsfläche, damit er sagen kann „die sind die Bösen, und ich bin der Gute“? Baut die Konsummafia ein Feindbild auf, um den braven Bürger in seinem Pferch zu halten? – Aber warum ist dann der Spitzbube gern Spitzbube?
Ich meine, es gibt auch noch eine narzisstische Aufwertung, eine empfundene Machtposition durch den Bruch der bürgerlichen Normen. Wer die Normen bricht (und sich eigene macht), empfindet sich als stärker als der, der sie aufgstellt hat.
Die meisten Firmen, wie Siemens, die Deutsche Rentenversicherung und die Mafia, und auch der Knast, sind aufgebaut wie Schafherden. (Nein, bitte, Siemens ist keine Mafia, und kein Knast, und der Knast ist auch nicht die Mafia. Nur, in einer Hinsicht sind sie ähnlich:) Man dient sich hoch, tut das Übliche und passt sich an, und die Angst sorgt dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber moderne, innovative Firmen und auch kriminelle Kleingruppen funktionieren wie Wolfsrudel: Der Fitteste führt, aber alle jagen auf eigene Verantwortung und holen den Rest des Rudels herbei, wenn sie Hilfe brauchen. Der Knast ist der untaugliche Versuch, Wölfe zu Schafen zu machen.
Das ist auch der Grund, warum Jugendwerkhof, Haasenburg und ähnliche Anstalten anders wirken, als die Erbauer es sich vorgestellt haben. „Resozialisierung“ ist nicht, wenn vorher gar nicht sozialisiert worden ist, sprich Normen gelernt. Was im Jugendwerkhof etc. zu lernen war, waren starre Regeln, wie es bei einer Schafsherde sich gehört, die aber von Wölfen als fremd empfunden wurden. Die passten nicht zu den (verletzten) Gefühlen der wilden Gesellen. Sie konnten hier nur den „inneren Schweinehund“ bekämpfen (und depressiv werden) oder rebellieren (Anpassungsstörung). Das selbe passiert im Knast.
Schafsherden entstehen, wenn ein Staat oder eine Staatskirche gegründet wird. Der Wolf ist nicht staatstragend, darum gerät er meist in die Subkultur oder, wenn er Pech hat, ins Subproletariat. Besonders übel wird es, wenn ein bekehrter Wolf zum Anführer der Schafe wird (meist ein erfolgreicher Revolutionär – Stalin etwa, oder die Gründer von Strukturvertrieben). Der Knast sucht das zu verhindern, indem er die Gefangenen entmutigt und sie zu Versagern macht. Wer sich nicht entmutigen lässt, gilt als besonders gefährlich und kriegt ein entsprechendes Gutachten.
Ich meine: Man sollte endlich den „Re“sozialisierungsanspruch ernst nehmen. Psychotherapie, Sozialarbeit und gute Ausbildung kosten nicht mehr Geld, sondern verhindern volkswirtschaftlichen Schaden und menschliches Elend. Wohnung und angemessene Arbeit sollten die Regel sein. Und die „Brücke“ sollte vor dem Jobcenter geschützt sein.