„Richtlinienverfahren“

Wer heilt, hat Recht.

Krankenkassenfähig sind nicht alle psychotherapeutischen Verfahren, sondern nur die in den „Psychotherapierichtlinien“ genannten Methoden. Das hat historische Gründe. Es fing damit an, dass die (Freudsche) Psychoanalyse um 1923 salonfähig und allgemein als Heilverfahren akzeptiert wurde. Gleichzeitig wurde Freud krank, und seine Schüler begannen die Schwachstellen der Methode zu erkennen und sie zu verändern. Die gesellschaftliche Anerkennung der Psychoanalyse nahmen sie mit in die neu gegründeten Therapieinstitute. So kam es, dass es zwei Verfahren gab, die sich als „die“ Psychotherapie“ verstanden: „Klassische“ Psychoanalyse und das, was jetzt „tiefenpsychologisch fundiert“ heißt. Weil aber jeder Freud-Schüler ein eigenes Institut und eine eigene Therapierichtung gründete, ist „tiefenpsychologisch fundiert“ keine einheitliche Methode.

Es gibt zum Beispiel Psychoanalyse, Individualtherapie, Analytische Therapie, Neoanalyse, Existenzanalyse, Daseinsanalyse, Ichpsychologie, Aktive Therapie, Aktive Psychoanalyse, Positive Psychotherapie, Charakteranalyse, Intuitive Methode, Sektor-Therapie, Vektor-Therapie, Komplexe Psychologie, Personale Analyse, Gestaltkreislehre… Hab ich irgendwas vergessen?

Es gibt nur wenige wirkliche Gemeinsamkeiten: Lernerfahrungen aus der Kindheit sind wichtig, die aktuelle Lebenssituation sollte berücksichtigt werden, und der Kontakt in der therapeutischen Situation ist wichtig für die Heilung. Gewisse Unterschiede gibt es in der Frage, ob man „analytisch“ kritisch vorgeht, d.h. nur über die Symptome redet, die abgeschafft werden sollen, oder „positiv“, also das thematisiert, was wachsen darf.

Abgesehen davon, dass auch die „Klassische“ Analyse ein tiefenpsychologisches Verfahren ist, benutzt jeder Tiefenpsychologe ein ganz eigenes Vokabular, das zwar auch noch ein bisserl mit Freud zu tun hat, aber manchmal mehr jungianisch, adlerianisch, existentialistisch, christlich, alchemistisch, manchmal fernöstlich, hawaiianisch, chassidisch klingt. Alles aber im gebührenden Rahmen der Kassenärztlichen Vereinigung gutachterfähig seriös. Sobald es kassenoffiziell wird, gleicht sich das Vokabular der Therapeuten in ihren Berichten wieder an.

Außer diesen beiden (nicht wirklich unterschiedlichen (Psychoanalyse dauert länger und soll intensiver sein))  gibt es als drittes Verfahren die Verhaltenstherapie, die auf der bahavioristischen Lerntheorie basiert. Der Anspruch: Sie soll besonders wissenschaftlich sein, so wie sich der Lerntheoretiker eben Wissenschaft vor stellt. Das heißt, der Patient soll etwas lernen, nicht der Therapeut.  Die Vorgehensanweisungen ähneln Kochrezepten, also „Kunst“ soll es nicht sein, idealer Weise könnte man auch einen Computer als Therapeuten hin pflanzen. Glücklicherweise wird das in der Praxis nicht so gehandhabt. Auch hier spielt die persönliche Beziehung und der Kontakt eine Rolle, wenn auch eher im Hintergrund. Eine nette Ergänzung ist auch die Kognitive Verhaltenstherapie, die erfunden wurde, weil es nicht nur Verhalten, sondern auch Erleben gibt.

Neuerdings gibt es auch noch die Neuropsychologie als anerkanntes Richtlinienverfahren, eine mehr medizinisch orientierte Methode.

Wirksam sind sie alle, voraus gesetzt, dass der Therapeut gut ausgebildet ist.

Was aber machen die, die zwar gut ausgebildet sind, aber in anderen Verfahren? Zum Beispiel in Gesprächstherapie (klintenzentriert), NLP, Gestalt-, Primär- oder Familientherapie? Nun, sie dürfen arbeiten, aber werden nicht von den Kassen bezahlt. Also setzte 1998 (nach der Erfindung des „Psychotherapeutengesetzes“) ein Run auf die Etiketten ein. Man musste nachsitzen. Ich bin seitdem tiefenpsychologisch fundiert. Das machte für mich Sinn, weil sowohl tiefenpsychologische Schulen als auch Gestalttherapie (die ja einen tiefenpsychologischen Ursprung hat) mit der therapeutischen Beziehung arbeiten. Andere Gestalttherapeuten wurden Verhaltenstherapeuten, weil Gestalt auch mit dem Thema Angst arbeitet.

Für die Patienten ist eigentlich nur wichtig, ob die „Chemie“ stimmt und ihnen die Veranstaltung etwas bringt. Darum bin ich für Bewertungen. (Nicht per Zwang durch Kammer/Kassen/KV, sondern als freiwillige Rückmeldung, um die Arbeit zu verbessern.)